Schweigekultur und wie man sie überwindet

Er hatte eine wirklich gute Idee für eine Verbesserung, aber er behielt sie für sich, weil er Angst hatte, sich zu blamieren. Sie kündigte ihren Job, obwohl sie gut darin war, weil ein angesehener Mitarbeiter sie immer wieder belästigte.  Hätten die beiden doch nur etwas gesagt! Von einer Schweigekultur spricht man, wenn Mitarbeitende arbeitsbezogene Ideen für sich behalten oder grenzüberschreitendes Verhalten, dem sie ausgesetzt sind, nicht melden. Das Schweigen äußert sich darin, dass Mitarbeitende es vermeiden, Fragen zu stellen oder Bedenken gegenüber einer Führungskraft zu äußern. Dies ist nicht das Problem des oder der Mitarbeitenden – es handelt sich vielmehr um ein organisatorisches Problem, da es eine Kultur schafft, in der Fehler nicht rechtzeitig erkannt werden. Schweigen bewirkt, dass das Wissen nicht zu denjenigen gelangt, die die Macht haben, Veränderungen herbeizuführen. Dies verringert die Chancen aller Beteiligten, aus Fehlern zu lernen, und erhöht das Risiko unethischen Verhaltens. 

DESHALB SAGEN MENSCHEN NICHTS 

Untersuchungen in verschiedenen Unternehmenskulturen zeigen, dass es in Unternehmen vier Hauptgründe gibt, warum sich Mitarbeitende nicht in der Lage fühlen, ihr Wissen weiterzugeben oder grenzüberschreitendes und unethisches Verhalten anzusprechen:  

  1. Angst als Ursache: Die Sorge vor negativen Auswirkungen auf die Karrierechancen. Die Betroffenen haben Angst, als schwierig abgestempelt zu werden, wenn sie etwas sagen, das unpopulär, umstritten oder geheim ist. Angstbedingtes Schweigen hält viele davon ab, Whistleblower zu werden und ihre Stimme zu erheben, obwohl sie wissen, dass sie dies tun sollten.  
  1. Wirkungslosigkeit als Ursache: Informationen werden zurückgehalten, weil die Betroffenen glauben, dass ein Aufschrei wirkungslos ist, weil er von der Umwelt nicht beachtet wird.  
  1. Soziale Ursachen: Wissen wird zurückgehalten, um Vorgesetzte oder Kolleginnen oder Kollegen nicht in Verlegenheit zu bringen oder nicht wegen Betrugs bloßgestellt zu werden.  
  1. Opportunistische Ursache: Jemand monopolisiert Wissen, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen oder um zusätzliche Arbeitsbelastung zu vermeiden. (Knoll, Ottsen et al., 2021) 

Es gibt kulturelle Unterschiede, aber insgesamt ist klar, dass Schweigen mit Machtgefälle verbunden ist. Führungskräfte in Organisationen mit einer hierarchischen Struktur haben eher Mitarbeitende, die sich passiv mit den Gegebenheiten abfinden und sich schnell anpassen. Die Mitarbeitenden schweigen, um Konflikte zu vermeiden, wodurch sich das Risiko erhöht, dass dem Management wichtige Informationen entgehen. Im Gegensatz dazu scheinen Mitarbeitende in Organisationen mit einer eher kollektiven und flachen Struktur häufiger ihre Meinung zu äußern.  

EIN GUTES ARBEITSKLIMA WIRKT DER SCHWEIGEKULTUR IN ORGANISATIONEN ENTGEGEN 

Ein gutes Arbeitsklima in den Teams der gesamten Organisation stärkt die kollektive Intelligenz. Folglich führt psychologische Sicherheit zu einer produktiven Gemeinschaft. Psychologische Sicherheit bedeutet, dass die Mitarbeitenden sich sicher und wohl genug fühlen, um sie selbst zu sein und Risiken einzugehen, ohne befürchten zu müssen, abgelehnt oder gedemütigt zu werden. Studien zur psychologischen Sicherheit zeigen, dass die leistungsstärksten Organisationen diejenigen sind, in denen die Führungskräfte eine Vorbildfunktion einnehmen. Dies ist der Fall, wenn sie einerseits vorangehen und ihre eigenen Fehler teilen, sodass andere daraus lernen können, und andererseits einladend und neugierig sind und so das Gespräch fördern.  Dies lässt eine Organisationskultur entstehen, die von Vertrauen und Respekt geprägt ist und in der sich die Mitarbeitenden frei fühlen, arbeitsrelevante Gedanken und Gefühle zu äußern (Edmondson, 2018). Wenn Führungskräfte ein offenes Ohr für die Probleme ihrer Mitarbeitenden haben und interessiert Fragen stellen, stärken sie die psychologische Sicherheit in der Organisation.  

SIEBEN TIPPS ZUR SCHAFFUNG EINES GESUNDEN ARBEITSKLIMAS 

Die folgenden sieben Tipps helfen Führungskräften, in ihren Organisationen die Integration zu fördern und ein gutes Arbeitsklima zu schaffen: 

1. Vermitteln Sie das Gefühl, zugänglich und gesprächsbereit zu sein.: Führungskräfte müssen präsent sein und sich persönlich einbringen. Es reicht nicht aus, zu sagen: „Meine Tür steht immer offen“. Führungskräfte sollten ansprechbar sein und das Gespräch suchen, sodass es leicht ist, mit ihnen in den Dialog zu treten. 
2. Unwissenheit einräumen: Wenn Führungskräfte zum Ausdruck bringen, dass sie Hilfe bei der Lösung eines bestimmten Problems benötigen, zeigt diese Ehrlichkeit eine menschliche Seite, die andere dazu bringt, es ebenfalls zu wagen, ihre Sorgen zu teilen. 
3. Fehlbarkeit zeigen: Führungskräfte sollten anerkennen, dass es normal ist, zu scheitern, indem sie ihre eigenen Fehler aufzeigen und ehrlich über Situationen sprechen, in denen sie nicht unbedingt erfolgreich waren.  
4. Andere bitten, sich einzubringen: Wenn Führungskräfte andere bitten, sich einzubringen, und deren Input anerkennen, sind die Mitarbeitenden auch bereit, sich noch stärker einzubringen und zu engagieren. 
5. Aus Fehlern lernen: Anstatt jemanden wegen eines Misserfolgs bloßzustellen, sollte der Fehler als Chance zum Lernen betrachtet werden. Erzählen Sie Geschichten, wie Sie selbst aus Fehlern gelernt haben. Wenn eine Führungskraft Erfahrungen teilt, beginnen alle aus den Fehlern der anderen zu lernen. 
6. Verwenden Sie eine klare und direkte Sprache: Seien Sie in Ihrer Kommunikation klar und unmissverständlich. Klare Vorgaben und Rahmen machen es für die Mitarbeitenden viel einfacher, entsprechend zu handeln und sich an die Regeln zu halten.  
7. Die Mitarbeitenden werden für ihr eigenes Handeln zur Verantwortung gezogen: Psychologische Sicherheit bedeutet auch, dass alle wissen, was von ihnen erwartet wird, und dass ihr Handeln Konsequenzen hat. Es muss klare Konsequenzen für bewusste Verstöße gegen den vorgegebenen Rahmen geben, damit die Führungskräfte ihre Beschäftigten auf faire und konsequente Weise zur Verantwortung ziehen können. 

Organisationen, die sich aktiv um psychologische Sicherheit bemühen, sind weitaus erfolgreicher bei der Weitergabe von Wissen und bei der Schaffung einer Kultur, in der die Mitarbeitenden ihre Meinung sagen und der Geschäftsleitung melden, wenn sie unethisches oder grenzüberschreitendes Verhalten erkennen. Der Weg zu einer gesunden Arbeitskultur beginnt damit, dass sich die Führungskräfte selbst ihrer Macht und der Art und Weise, wie sie diese ausüben, bewusst werden. 

Lesen Sie mehr über die Hintergrundstudie zu diesem Thema hier: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/job.2512  

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